Seit einer Woche nun ist unser Grünhelme-Team in Beirut im Einsatz – und hat schon rund 80 Familien mit neuen Fenstern versorgt. Diese waren durch die Wucht der Explosion im Hafen von Beirut zerstört worden . Im Stadtteil Karantina bauen wir für Familien Türen und Fenster, um zumindest ihre Wohnsituation ein wenig zu entspannen.
Karantina ist ein sehr armer Stadtteil von Beirut, der im Westen und Norden vom Hafen umgeben ist – und damit sehr nah am Ort der tödlichen Explosion liegt. Meist drei- bis vierstöckige Betonblöcke stehen hier, viele sind während des Bürgerkrieges illegal errichtet worden. Schon vor der Explosion nagte an ihnen der Zahn der Zeit. Daneben Industriehallen, Vertriebsgebäude, ein Militärstützpunkt und das lokale Krankenhaus, welches seit der Explosion geschlossen ist.
In die Schlagzeilen geriet Karantina während des Libanesischen Bürgerkrieges, als im Januar 1976 christliche Milizen ein Massaker an den hier lebenden Palästinensern und Schiiten verübten. Mehr als 1500 Menschen wurden damals getötet. Danach haben die meisten Schiiten das Viertel verlassen, geblieben sind die Christen und einige Palästinenser, hinzugekommen sind libanesische Sunniten und syrische Flüchtlingsfamilien. Anders als in den südlich, nur durch eine Schnellstraße von Karantina getrennten Stadteilen, gab es hier nach dem Bürgerkrieg keinen Boom. Karantina ist ein Elendsviertel geblieben, in dem der Müllgestank dominiert, verursacht durch den Hafen und das hier ansässige Abfallbeseitigungsunternehmen.
Die Explosion hat Karantina und seine Menschen hart getroffen. Kaum ein Gebäude ist verschont geblieben. Trapezblechdächer haben sich um Stahlträger gewickelt, ganze Außenwände sind einfach aus ihrem Gebäude herausgebrochen, die Autos in den Straßen teils plattgedrückt wie eine Briefmarke. Fenster und Türen hat es mitunter samt Rahmen aus dem Mauerwerk gesprengt. Und überall die schon so häufig beschriebenen Glasscherben. Wenn man sich die Zerstörungen anschaut, glaubt man glaubt fast an ein Wunder, dass es nicht noch mehr Opfer gegeben hat.
Mitten im Stadtteil gibt es einen freien Platz, hier hat sich nach dem ersten Schock ein Komitee gebildet, das die Aufräumarbeiten koordinieren wollte. Leute aus dem Viertel, die sich auf Hilfe von der Regierung oder Stadtverwaltung lieber nicht verlassen wollten. Schon bald wurde geräumt und gefegt. Die Menschen haben selbst angepackt. Freiwillige aus der ganzen Stadt haben ihnen geholfen, den Schutt und die Scherben von den Straßen zu bekommen, die zerstörten Möbelteile und den abgebrochenen Putz aus den Wohnungen zu schaffen. Vor allem junge Leute zogen in Gruppen, mit Besen und Schüppen ausgestattet, durch die Straßen Karantinas.
Wenn man versuchen möchte, etwas Positives aus dieser Katastrophe zu ziehen, dann ist es die Solidarität der Beirutis, die in diesen Tagen so stark wie vielleicht noch nie war. Doch natürlich gab es auch die Schattenseiten: Plünderungen von Wohnungen, deren Bewohner*innen erstmal bei Verwandten untergekommen waren, oder Diebstahl von in den Straßen abgestellten Türen, Fenstern und Möbeln, während die Familien ihre Wohnungen vom Staub der Explosion versuchten zu befreien.
Wie immer kommen mit einer Katastrophe auch die Hilfsorganisationen. Sie bringen Lebensmittel, medizinische Notversorgung oder eben wie wir Grünhelme bautechnische Unterstützung. Das Auftreten der Organisation ist Fluch und Segen zugleich. Sie können große Not lindern, gleichzeitig aber auch das Chaos vergrößern. Manche schaffen Bedarfe, die zuvor gar nicht bestanden, weil sie Gegenstände liefern, die nicht benötigt werden. In Beirut, auch in Karantina, waren die Organisationen sehr schnell zur Stelle. Leider ohne jegliche Koordination oder Strategie. So häufte sich das ausgegebene Essen in den Müllcontainern, weil die schieren Massen von Fertigmahlzeiten niemals verzehrt werden konnten. Immer wieder gab es Streit zwischen den Bewohner*innen um die Gunst der Organisationen. Gleichzeitig wurde aber zumindest die medizinische Notversorgung für die Opfer sichergestellt. Gleichwohl entstand manchmal inmitten der Eitelkeiten der Organisationen der Eindruck eines Wettbewerbs – um die größte Aufmerksamkeit, die herzzerbrechendsten Bilder.
Wir als Grünhelme hatten das Glück, von der sich selbst als Komitee des Viertels bezeichnenden Gruppe, die Erlaubnis zu bekommen, auf dem zentralen Platz neben dem Krankenhaus, eine Freiluftwerkstatt für den Bau von Holzfenstern und Türen zu errichten. Aus fast jeder Wohnung waren Türen und Fenster herausgerissen worden, und so war das Komitee von unserer Idee begeistert, hier schon am vierten Tag nach der Katastrophe zumindest ein wenig Abhilfe leisten zu können. Am Abend zuvor hatten wir den gesamten Maschinenpark unserer Ausbildungswerkstatt im nordost-libanesischen Arsal, die wegen Corona ohnehin momentan geschlossen sein muss, auf einen Lkw geladen und auf die Reise geschickt. Mit dabei vier unserer syrischen Mitarbeiter aus Arsal sowie unser Partner Edinburgh Direct Aid, die mit uns gemeinsam die Ausbildungsstätte ins Leben gerufen haben.
Am nächsten Morgen, in Karantina angekommen, bauten wir eilig das große Zelt aus Kanthölzern und Kunststoffplanen auf, richteten die Werkstatt ein und da wir schon einen Grundstock an Bauholz aus Arsal mitgenommen hatten, konnten schon am Nachmittag die ersten Fenster und Türen gebaut werden: Eine simple Konstruktion zwar, aber schnell und zweckdienlich. Die Fenster verglast, die Türen mit einer Füllung aus mitteldichter Faserplatte. So werden die Wohnungen wieder geschlossen, mit der Möglichkeit zum Lüften. Seither laufen wir durch die Blocks, fragen jede und jeden, ob sie neue Fenster oder Eingangstüren brauchen und erklären geduldig, dass wir lediglich Holzarbeiten machen können. Die meisten Familien nehmen uns freudig in Empfang. Der Hausbesitzer eines direkt angrenzenden Hauses war so begeistert, dass er unsere Werkstatt direkt an seine Stromversorgung angeschlossen hat. Aber es gibt auch Bewohner*innen, die lieber Aluminiumfenster haben möchten und uns wieder wegschicken.
Seit zehn Tagen messen, sägen, hobeln, leimen und montieren wir nun in Karantina. Für etwa achtzig Familien haben wir schon arbeiten können. Wir sind zuversichtlich, schon bald den Stadtteil vollständig abgearbeitet zu haben und längst gibt es Anfragen aus anderen Vierteln, die von unserer Werkstatt gehört haben.
Es bleibt also viel zu tun, wir sind dankbar für jede Spende!