Nach 15 Monaten haben Absolventen mit einem Gesellenstück den „Tischlern for Future“-Kurs im Libanon abgeschlossen. Taha, Saleh und Ahmed haben auch schon Aufträge als Tischler an der Angel.

Taha mit seinem Gesellenstück mit Abu Qasim

Von Simon Bethlehem

Bonn, 01. Mai 2022 – Angefangen hatte alles mit einem ungehobelten Vierkantholz. Die Aufgabe war: Daraus in mehreren Schritten ein Rundholz hobeln. 15 Lehrmonate später, die durch Corona allerdings von einer Pause unterbrochen waren, ist der Fortschritt enorm: Unsere einstigen Tischler-Neulinge haben Möbelstücke selbst geplant und eigenständig angefertigt – und sich somit eine neue Zukunftschance erarbeitet.

Das Erlernen dieser handwerklichen Grundfähigkeiten verlangt viel Geduld und Durchhaltevermögen. Gestartet waren wir mit zwölf Azubis. Die drei Absolventen Taha, Saleh und Ahmed sind über die gesamte Zeit eisern dabei geblieben, auch nachdem unsere Ausbildungswerkstatt wegen der Corona-Pandemie für mehrere Monate geschlossen werden musste. Manche Teilnehmer sind abgesprungen, weil das Interesse und die Anfangseuphorie nachgelassen haben, andere, weil die Zeit für die Teilnahme nicht mehr da war und parallel häufig eben auch eine Familie ernährt werden muss. Vier Teilnehmer nahmen sich zwischenzeitlich eine Auszeit und sind später wieder in die nachfolgenden Kurse eingestiegen.

Der Kurs startete mit dem ungehobelten Kantholz, damit die Anfänger erstmal ein Gefühl für den Werkstoff Holz entwickeln, seine Eigenschaften und sein Verhalten bei der Bearbeitung. Vor allem die klassischen Holzverbindungen – Schlitz- und Zapfenverbindungen, Schwalbenschwänze, Überblattungen – haben den Azubis dabei in den ersten Monaten viel abverlangt. Wir haben von Anfang an viel Wert darauf gelegt, dass direkt etwas gebaut wird, das im Alltag von Nutzen ist – eine Teigrolle zum Brotbacken, ein Teetablett oder ein erstes kleines Hängeschränkchen etwa.

Nachttische, Bänke und Babybetten

Als nach den ersten drei Monaten dann auch endlich die ersten Maschinen zum Einsatz kamen, hat dies für einen besonderen Motivationsschub gesorgt. Am liebsten hätten „unsere Jungs“ schon am ersten Tag das Kantholz mit Abrichte, Dicktenhobel und Oberfräse bearbeitet, aber uns war es wichtig, das handwerkliche Geschick herauszukitzeln und zu fördern. Umso größer war dann die Freude, als endlich auch Krach in der Werkstatt war.

Nach und nach wurden die Bauprojekte aufwendiger: Ein Nachttisch, eine Bank, eine Kommode und eine Babykrippe. Wir haben nicht nur mit massiver Fichte, Kiefer und Buche gearbeitet, sondern auch mit Plattenwerkstoffen und selbst furniert. Auch die im Mittleren Osten so beliebten Intarsien haben wir als eine Art Kunsthandwerk mit in unser Ausbildungsprogramm aufgenommen.

Unser Ausbilder seit dem ersten Tag ist Abu Qasim, ein syrischer Ingenieur und Tischler, der mit viel Einfühlungsvermögen, sehr viel Geduld und seiner ganz besonderen Ruhe die Azubis immer wieder an die Hand genommen, motiviert und verbessert hat. Unterstützt wurde er von vier Tischler:innen aus Deutschland, die nacheinander im Rahmen eines dreimonatigen Freiwilligeneinsatzes ihre Fähigkeiten weitergegeben und neue Ideen und Arbeitsweisen eingebracht haben. So hat sich ein breites Spektrum ergeben, das Abu Qasim als einen Mix aus deutscher Sorgfältigkeit und arabischem Einfallsreichtum beschreibt.

Zum Abschluss ein Gesellenstück

Ein Tischler ist kein Tischler, wenn er nicht zum Abschluss seiner Ausbildung ein eigenes Möbelstück plant und schließlich auch baut – das Gesellenstück. Auch das wollten wir mit unseren Azubis in Aarsal machen. Da unser Schwerpunkt während des gesamten Kurses auf der Praxis liegt und theoretische Elemente nur am Rande eingeflossen sind und wir auch keine Zeichenschulung gemacht haben, war die Planung mit viel Hilfestellung verbunden. Doch sehr schnell zeigte sich, dass unsere drei Azubis sehr klare Ideen davon hatten, wie ihre Gesellenstücke werden sollten. So entstanden Skizzen und auch kleinere Detailzeichnungen, die Verbindungstechniken wurden besprochen und schließlich auch Beschläge ausgewählt.

Der aus Syrien geflohene Taha und der Libanese Ahmed haben sich für ein Bett entschieden. Bei Taha schließen sich am Kopfende Schränkchen und Regal an, während Ahmeds Bett sich zu einem Sofa zusammenklappen lässt. Die beiden jungen Männer wollen  bald heiraten und können die Möbel daher gut gebrauchen. Saleh, ein schon etwas älterer syrischer Herr, hat sich ebenfalls eine Bett-Sofa-Kombination ausgedacht. Sechs Wochen haben die drei nun insgesamt an ihren Gesellenstücken gearbeitet und sich dabei auch gegenseitig tatkräftig unterstützt. Die Ergebnisse können sich wahrlich sehen lassen!

Zukunftsperspektive durch gute Ausbildung

Als wir das „Tischlern for Future“-Projekt in Aarsal im Oktober 2020 gestartet haben, war – wie der Name schon sagt – die Grundidee, dass wir den Teilnehmenden mit einer guten Ausbildung eine Zukunftsperspektive ermöglichen wollten. Durch die Ausbildung sollten sie bessere Chancen auf eine Anstellung in einer Tischlerei haben oder auch, um als Selbstständige kleine Projekte umzusetzen. Die massive Wirtschafts- und Finanzkrise des Libanon hat dies ein Stück weit zunichtegemacht. Die Arbeitslosigkeit ist immer weiter gestiegen und die grassierende Inflation frisst das Geld der Menschen auf, sodass für Tischlerarbeiten kaum Geld übrig ist.

Um trotzdem die Eigeninitiative zu fördern und selbstständiges Arbeiten zu ermöglichen, haben wir bereits im August des vergangenen Jahres eine zweite Tischlerwerkstatt eröffnet, ausgestattet mit Werkzeug und Maschinen, wo unsere Azubis und Ausgelernten eigenständige Projekte verwirklichen können (hier mehr dazu lesen).

Nach einem Umzug in eine größere Werkstatt Anfang April wird diese nun von unseren Gesellen ausgiebig genutzt: Für das Balsam Center, eine Einrichtung für Kinder mit Behinderung, bauen Taha, Saleh und Ahmed verschiedenste Einrichtungsgegenstände wie Stühle, Tische, Schränke und sogar Betten. Zwar kommt der bezahlte Auftrag erstmal von den Grünhelmen, doch haben die drei Gesellen so den ersten Schritt in die Selbstständigkeit gemacht und verdienen mit ihrem Erlernten nun endlich auch etwas Geld.

Das „Tischlern for Future“-Projekt läuft übrigens weiter. Aktuell befinden sich weitere 30 junge und ältere Männer in verschiedenen Gruppen bei uns in Ausbildung. Schon bald wird es also die nächsten Gesellen geben. Leider nehmen keine Frauen an den Kursen teil.

Ein großes Dankeschön geht an unsere vier freiwilligen Grünhelme Sven Fourkiotis, Johanna Schidlo, Fabian Metzger und Luca Mangold, die maßgeblich an der Ausbildung der drei Gesellen beteiligt waren. Außerdem an Udo Schwedes vom Tischlerbildungszentrum Rheda-Wiedenbrück, der uns zum Projektstart beratend zur Seite gestanden hat. Und natürlich an alle Spender:innen – ohne Sie wäre dieses Projekt nicht möglich!