Auch im Libanon hat das Coronavirus Auswirkungen auf unsere Projekte. Doch im Gegensatz zu anderen Ländern kann hier ein kleines Team weitermachen. Grünhelm-Vorstand Martin Mikat berichtet von der Situation vor Ort und den Plänen für eine Krankenstation in Aarsal.
Auch der Libanon ist fest im Griff von Covid-19. Am 16. März wurde der nationale Gesundheitsnotstand ausgerufen, zwei Tage später der internationale Flughafen in Beirut geschlossen. Seither ist der Weg in den Libanon oder heraus weder über den Luft- oder Seeweg noch über Land möglich. Der kleine Mittelmeerstaat hat sich komplett abgeriegelt.
Auch das öffentliche Leben im Libanon steht still: Sämtliche Schulen sind geschlossen, ebenso wie Geschäfte, öffentliche Einrichtungen wie Gerichte und Museen, von 19 bis 5 Uhr ist eine Ausgangssperre verhängt. Auch der Unterricht an den syrischen Schulen, die wir unterstützen, und unser Schreiner-Workshop sind gestoppt.
Man könnte meinen, alles sei ähnlich wie in Deutschland und den meisten europäischen Ländern. Leider weit gefehlt. Im Unterschied zu Europa, mit Ausnahme von Griechenland, sitzen im Libanon laut UN rund 1,5 Millionen Menschen aus Syrien fest, teilweise harren sie schon seit 2011 hier aus. Sie können und wollen wegen Assads Schergen nicht zurück in ihre Heimat, im Libanon leben sie oft in größter Armut und ohne adäquate Behausungen. Hinzu kommt, dass der Staat Libanon kurz vor einem Staatsbankrot steht, die Währung hat massiv an Wert verloren, nötige Mittel für die Bekämpfung der Pandemie fehlen.
Diese Mischung macht aus dem Libanon ein Pulverfass. Momentan sieht es danach aus, dass sich das Virus durch die ergriffenen Maßnahmen unter Kontrolle halten lässt. Ob die Zahlen von aktuell 550 Infizierten glaubhaft sind, ist allerdings höchst fraglich. Wie in vielen Ländern mit geringen finanziellen Mitteln, wird auch hier sehr wenig getestet. Es gibt lediglich ein Krankenhaus in Beirut, welches momentan schwere Fälle von Covid-19 ausreichend behandeln kann. Diese Klink ist zudem die einzige, die die Tests auswerten kann. Der Unmut der Bevölkerung wächst, auch über die Milizen der Hisbollah. Ihnen wird vorgeworfen, die Zahl der Infizierten durch die Rückkehr ihrer Kämpfer aus Syrien und durch Pilger aus dem Iran in die Höhe getrieben zu haben. Wohl gemerkt: Nachdem das Land bereits abgeriegelt war. Nun, so der Vorwurf, versuchten sie, das wahre Ausmaß der Katastrophe zu verschleiern. Die seit Monaten laufenden Proteste gegen die Regierung wurden mit der Begründung der Covid-19-Bekämpfung hart gestoppt.
Für die Libanes*innen ist es eine schwierige Zeit. Unternehmer*innen werden keine Ausgleichzahlungen für Verluste aufgrund der Schließungen in Aussicht gestellt, wie etwa in Deutschland. Sie stehen vor dem finanziellen Ruin, sollte der Lockdown noch länger anhalten. Deswegen sind zwar die meisten Geschäfte geschlossen, aber hinter verschlossenen Türen und Toren kann man weiter ungestört einkaufen. Die ersten Tage sah es so aus, als wenn die Menschen sich an die Ausgangssperre hier in Aarsal halten, allerdings ist schon nach einer Woche wieder ein reger Verkehr auf den Straßen zu beobachten. Das liegt hier in Aarsal sicher auch an der Entfernung zur Hauptstadt, aber vor allem daran, dass die kleine Stadt seit Jahren ihre eigenen Regeln macht und sich leider wegen ihrer Abgeschiedenheit in einer trügerischen Sicherheit wägt.
Für die Syrer*innen in den Camps ist die Situation durch die Corona-Pandemie noch schlechter geworden. Fast alle haben ihre Jobs und damit ihre ohnehin meist geringen Einnahmen verloren. Über die katastrophalen Bedingungen, unter denen die Menschen aus Syrien im Libanon leben, haben wir in den vergangenen Jahren schon viel berichtet. Auf dichtem Raum, in Zelten von 4 x 4 Metern, leben ganze Großfamilien zusammen. Die wenigen, die sich ihre Zelte mit Mauersteinen oder durch unsere Hilfe mit einem Blechdach etwas befestigt hatten, mussten im letzten Jahr alles einreißen. Sie sind der Willkür der libanesischen Sicherheitsorgane hilflos ausgeliefert, die sich immer wieder neue Schikanen einfallen lassen.
Durch die Corona-Pandemie sind sämtliche Zeltlager tickende Zeitbomben, denn wenn sich nur einer dort mit Covid-19 ansteckt, wird sich das Virus explosionsartig verbreiten. Die Zelte stehen dicht an dicht. Eine Isolation ist schlichtweg unmöglich.
Die UN und das zuständige Hilfswerk, das UNHCR, ignorieren den Preisverfall des libanesischen Pfunds und zahlen ihre ohnehin geringen Hilfsgelder an die Familien weiter zu dem offiziellen Wechselkurs (ca. 1600LBP/$) der Banken aus. Dabei ist die Landeswährung durch Covid-19 und den drohenden Staatsbankrott nochmals gefallen, von 2500 LBP/$ auf teilweise 3000LBP/$. Zucker, Tee, Mehl und andere Lebensmittel kosten nun das Doppelte. Natürlich liegt das auch daran, dass es schwieriger geworden ist Transporte nach Aarsal zu senden. Es ist unverständlich, wie das Hilfswerk diese Entwicklung übersehen kann, was den Schluss zulässt, dass es bewusst wegschaut. Für die Banken ist der Wechselkurs ein gutes Geschäft, für die Menschen aus Syrien verschlechtert sich ihre Lage damit weiter. Wie schon Rupert Neudeck immer beschwörend sagte: „Hütet Euch vor den Zuständigen!“, womit er leider mal wieder recht behält.
Im Kampf gegen Covid-19 bleibt der Staat Libanon aber nicht untätig. In vielen Regionen werden die wenigen Krankenhäuser ausgebaut. Zusätzliche Intensivbetten werden geschaffen. Trotzdem sind es noch viel zu wenige. Ob die Menschen aus Syrien Zugang zu guter medizinischer Versorgung hätten, ist fraglich. Zumindest für Aarsal steht fest: Sollte Covid-19 bis hierher gelangen und die Camps erreichen, könnten die meisten Syrer*innen gar nicht in das 1,5 Stunden entfernte Krankenhaus in Baalbek, da ihnen dazu schlicht die Aufenthaltsgenehmigung fehlt.
Der Notfallplan der Regierung sieht für so ein Szenario vor, dass die entsprechenden Camps so lange unter Quarantäne gestellt werden, bis auch der letzte Insasse keine Symptome mehr zeigt. Wie die Versorgung der Camps mit dem Nötigsten wie Lebensmitteln und Medikamenten in dem Zeitraum laufen soll, konnte auf mehrere Nachfragen bei verschiedenen Institutionen niemand beantworten. Es bleibt zu hoffen, dass die Menschen recht behalten und die Stadt Aarsal einmal von ihrer Abgeschiedenheit in den Bergen an der syrisch-libanesischen Grenze profitiert und das Virus seinen Weg nicht hierher findet. Für den Fall, dass es passiert, haben wir Grünhelme entschieden, mit einem erfahrenen Helfer vor Ort zu bleiben und dort zu unterstützen, wo sich Defizite auftun.
Wir haben bereits begonnen, ein Quarantäne-Center am Rande der Stadt für Syrer*innen zu errichten, was im schlimmsten Fall auch als Klink für schwerere Krankheitsverläufe genutzt werden kann. Vorerst werden sechs Gebäude, ähnlich zu den Schulen, die wir hier gebaut haben, errichtet. Zusätzlich bekommt jeder Raum ein eigenes Bad, um eine geeignete Quarantäne zu ermöglichen. Die Organisation URDA wird das Zentrum betreiben. Sie leitet bereits eine Krankenstation in Baalbek und wird im Notfall medizinisches Personal nach Aarsal schicken.
Zusätzlich dürfen wir mit einer Sondergenehmigung unser Projekt der Elektrifizierung der Camps fortsetzen. Vor zwei Wochen erst standen wieder sieben Zelte nach einem Kabelbrand in Flammen. Die verlegten Leitungen in den Zelten sind in der Regel katastrophal. Um ihr weniges Geld zu sparen, verwenden die Geflüchteten oft kurze Kabelstücke, die dann zusammengedreht und mit einfachem Isolierband umwickelt, zwischen den Zelten und in den Zelten baumeln.
Unsere Arbeit hat sich durch die Corona-Krise grundlegend verändert. Zusätzliche hygienische Schutzmaßnahmen sind nun erforderlich. Wir haben unseren Mitarbeitern das Tragen von Handschuhen, Masken und Schutzanzügen auferlegt. Auch die wenigen schönen Momente, etwa wenn die Menschen in den Camps sich für unsere Arbeit mit Tee, Kaffee oder Gebäck bedanken wollen, müssen wir nun leider ablehnen. Das gemeinsame Frühstück mit den Familien in ihren Zelten, eigens für uns und mit viel Liebe vorbereitet, ist nun genauso tabu wie Gespräche mit mehr als einer Person aus dem Camp. Auch die Kinder, für die unsere Arbeiten immer eine willkommene Abwechslung zum tristen Camp Alltag sind, dürfen nun nicht mehr mitschrauben oder zuschauen.
Unsere Arbeit vor Ort ist nun jedoch umso wichtiger! Unsere Mitarbeiter haben dadurch weiter ein Gehalt, die Camps werden brandsicherer und für den Fall, dass Corona in Aarsal ankommt, gibt es einen Ort, wo die Menschen behandelt werden können.
Leider muss man sagen, dass die Situation für Geflüchtete in Ländern wie dem Libanon, der Türkei oder Griechenland so schlecht ist, weil die Europäische Union versucht, sich Menschen über Zahlungen an Drittstaaten vom Hals zu halten. Und weil europäische Staaten ihren Egoismen folgen statt sich auf faire Mechanismen zur Aufnahme von Geflüchteten zu einigen. Es ist dieser Tage viel davon zu lesen, dass Solidarität jetzt wichtig ist. Ja, das stimmt. Es ist unsere Pflicht zu helfen! Aber nicht nur in diesen Zeiten.