Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer der Grünhelme,
es zeigt sich immer wieder: In der Krise halten Menschen zusammen. Zumindest kurz pausieren Wettkampf, Egoismus und das Streben danach, mehr zu haben oder zu erreichen als andere.
Die Verunsicherung schweißt zusammen. Es entstehen Momente großer Solidarität. Auch wir Grünhelme konnten dies in diesem Jahr erleben. Obwohl wegen der Pandemie unsere Projekte in Sierra Leone und Mosambik bis Oktober gestoppt waren, freiwillige Mitarbeiter unverrichteter Dinge wieder nach Hause reisen mussten, obwohl die von uns unterstützte Schule im Libanon einige Monate nur digital unterrichten konnte, neue Projekte verschoben werden mussten.
Obwohl es so vieles gab, was leider nicht oder langsamer voran ging, waren Sie – liebe Spenderinnen und Spender – bei uns. Viele von Ihnen haben trotzdem gespendet, einige sogar Ihre Daueraufträge erhöht, weil sie gerade jetzt Schwächere unterstützen wollten. Wir sind äußerst dankbar für dieses Engagement, für die große Loyalität und Empathie.
Corona nur eine von vielen Krisen
In unseren Projekten arbeiten wir stets mit jenen zusammen, die in einer Dauerkrise leben. Mit Menschen, bei denen zuvor wenig Solidarität angekommen ist. Und, wie sich nun zeigte, für die die Pandemie nur eine von vielen Krisen ist, vielleicht sogar eine weniger wichtige.
Die syrische Community im libanesischen Aarsal ist ein Beispiel. Seit zum Teil neun Jahren leben Zehntausende in Zelten oder einfachsten Bauten, viele ohne formale Anerkennung als Geflüchtete, ohne Papiere, ohne Perspektive. Die libanesische Regierung versucht zu allem Überfluss, ihre eigenen Landsleute gegen die Geflüchteten aufzuhetzen. Sie macht sie zum Sündenbock für die wirtschaftliche Misere, die jedoch ein Sumpf aus Korruption, Vetternwirtschaft und Veruntreuung erzeugt hat. Elitäre Familien und Klientelparteien haben den Libanon zugrunde gerichtet, die Leidtragenden sind alle Bewohner*innen des Landes jenseits der Oberschicht. Der große Knall kam im wahrsten Sinne des Wortes mit der Explosion im Beiruter Hafen Anfang August.
Mit den Geflüchteten in Aarsal, einer einstigen Kleinstadt nahe der syrischen Grenze, arbeiten wir seit mehr als drei Jahren zusammen. Angefangen mit der Verstärkung der Zeltdächer, über den Bau von Fenstern für die Zelte, der Unterstützung von informellen syrischen Schulen, der Ausbildung von jungen Schreinern bis hin zur Erneuerung der Elektrik: Immer wieder haben wir unsere Unterstützungsangebote an die Bedürfnisse vor Ort und an die Repressionen und Einschränkungen der Regierung anpassen müssen. Unsere Arbeit konnte dort trotz Corona unter strengen Auflagen weitergehen. Auch, weil sich unser Vorstand Martin Mikat im März, als der Flughafen in Beirut geschlossen wurde, entschied, auf unbestimmte Zeit zu bleiben.
In Aarsal am richtigen Platz
Zur Dauerkrise im Libanon kam nicht nur Corona, sondern auch die Explosion im Hafen von Beirut. Die Lage erlaubte es, dass wir ein Team hinschickten und mit anpackten. Schon wenige Tage nach dem Unglück hatten wir eine Schreinerei zur Produktion von Fenstern und Türen im stark betroffenen Stadtteil Karantina aufgebaut, 14 Syrer aus Aarsal halfen mit.
Die vier Wochen in Beirut waren trotz einiger Ärgernisse (mehr im Projektbericht) aus zwei Gründen lehrreich. Erstens, weil uns einmal mehr bewusst geworden ist, welch motiviertes und vor allem qualifiziertes Grünhelme-Team sich in Aarsal über die Jahre entwickelt hat. Als wir mit einem Teil des Teams nach Beirut gingen, führte unser Übersetzer, Vorarbeiter und Freund Abu Feyrous die Elektroarbeiten in Aarsal mit unseren Mitarbeitern fort. Zu sehen, wie selbstständig und verantwortungsvoll unser Team arbeitete, hat uns mit großem Stolz erfüllt. Und zweitens, weil uns die Arbeit in Beirut noch enger an die Syrer gebracht hat. Mit sechs Mitarbeitern lebten wir in einer Wohngemeinschaft zusammen. Junge Männer, die Angehörige und Freunde im Krieg verloren haben, ihre Jugend in Zelten verbracht und auf weitergehende Bildung weitgehend verzichten mussten. Manche von ihnen, fast noch jugendlich, haben in diesem permanenten Ausnahmezustand eine Familie gegründet, Kinder bekommen. Sie müssen ihre Familien inmitten galoppierender Inflation und schwindender Arbeitsmöglichkeiten durchbringen, häufig noch Eltern und Geschwister mitversorgen. Diese Zwänge und Verantwortungen hautnah mitzuerleben und dann doch immer mal wieder die jugendliche Unbekümmertheit und Fröhlichkeit herausstechen zu sehen, hat uns tief bewegt. Es hat uns darin bestärkt, in Aarsal, in der syrischen Community, genau am richtigen Platz zu sein. Hier Arbeitsplätze zu schaffen, Bildung zu fördern, Ausbildung zu ermöglichen und letztlich das Leben ein wenig sicherer und einfacher zu machen, das erfüllt uns mit Freude und Demut − auch, wenn es nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein ist.
„Charakter zeigt sich in der Krise“, soll der einstige Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt haben, der sich 1962 als Innensenator von Hamburg nach der Sturmflut als Krisenmanager bewies. Wir wünschen uns, dass diese Krise in Erinnerung bleibt. Nicht nur als dunkles Schreckgespenst. Nein, sondern als Erinnerung daran, dass sich mit Empathie viel bewegen lässt.
Frohe Weihnachten.
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